Ubuntu als Antwort auf den Konflikt der Kulturen

06.10.2020 - Souleymane Bachir Diagne - Übersetzung: Constanze Fröhlich

Ich möchte hier das Konzept Menschlichkeit gemeinsam gestalten (faire humanité ensemble) untersuchen. Dieser Ausdruck ist meines Erachtens die beste Übersetzung des Begriffs Ubuntu aus den südafrikanischen Bantu-Sprachen. Was bedeutet Ubuntu?

Bevor ich mit der Analyse beginne, möchte ich zwei Beispiele schildern: Das erste führt uns zur US-amerikanischen Basketball-Meisterschaft und das zweite zu einem Aufsatz, den Nicolas Hulot in Le Monde publizierte.

1. All jene, die die Spiele der NBA (National Basketball Association) verfolgen, wissen vielleicht, dass es dort einen legendären Trainer gibt, für den Ubuntu nicht nur der Schlachtruf ist, den er seine Spieler vor Beginn eines Spiels rufen lässt. Ubuntu macht  auch die Philosophie aus, mit der er seine Mannschaft trainiert. Es handelt sich um Doc Rivers, der heute bei den LA Clippers ist. Auch wenn heute an der Westküste noch immer von Ubuntu die Rede ist, so begann doch alles, als Rivers noch bei den Boston Celtics war. Als sich Doc Rivers zum ersten Mal den Spielern der Celtics vorstellte, musste er die richtigen Worte finden, damit seine Spieler – und insbesondere die drei „Stars“ Paul Peirce, Ray Allen und Kevin Garnett – verstanden, was es heißt, zusammen zu spielen, nämlich: jeder für den anderen, sodass jeder seine Leistung steigert, indem er auch die Leistung des anderen steigert. Das Wort, das Rivers fand, um dieses Prinzip zu übersetzen, war Ubuntu. Mithilfe des südafrikanischen Trainers Kita Matungulu brachte er den Boston Celtics Ubuntu bei, die das Wort daraufhin als ihren Schlachtruf übernahmen. Hier lässt sich die Richtung dieser Philosophie schon erahnen.

2. Mein zweites Beispiel ist ungleich dramatischer. In einer Kolumne in Le Monde vom 30. April 2016 empörte sich Nicolas Hulot über die humanitäre Katastrophe, die von der Flüchtlingskrise und von der Gleichgültigkeit, wenn nicht Feindseligkeit, herrührt, die die Figur des Migranten heute auslöst. Er fragte: „Wo ist, angesichts der Flüchtenden, unsere Menschlichkeit geblieben?“

Hulot merkte zunächst an, dass Kriege, Verfolgungen und die Zerstörung der Ökosysteme dazu führten, dass die Welt seit der großen Katastrophe von 1939/45 noch nie so viele Flüchtlinge und Migranten gesehen hat, die um Menschlichkeit und Gastfreundschaft bitten. Den Zeitungen entnehme ich: Siebzig Millionen Personen mussten durch Krieg und Verfolgung ihre Heimat verlassen. Beim Blick auf diese Zahlen darf man nicht vergessen, dass das erste Ziel der Flüchtenden das Haus nebenan ist. Der Libanon bricht unter der Last der syrischen Flüchtlinge beinahe zusammen und ist besorgt, ob seine Wirtschaft dem standhalten kann. In den Beiruter Flüchtlingslagern Sabra und Schatila ist es mittlerweile verboten, stabile Bauwerke zu errichten, um die provisorischen Lager nicht in permanente zu verwandeln.

Dann beklagte Hulot in seiner Kolumne, in sehr vielen Fällen werde die Bitte um Aufnahme fast instinkthaft zurückgewiesen (auf die Bedeutung des Instinktiven werde ich zurückkommen). Vor allem die extreme Rechte bediene sich des sogenannten Populismus und spiele zynisch mit allen Arten von Ängsten, indem sie bewusst Begriffe wie „Invasion“, „Bevölkerungsaustausch“ oder „Ansturm“ nutze.

Zu fragen, wo unsere Menschlichkeit geblieben ist, heißt tatsächlich zu erkennen, inwieweit ein Austausch stattgefunden hat – kein Austausch einer Bevölkerung durch eine andere (was absurd ist), sondern der Austausch des Ideals einer gemeinsam gestalteten Menschlichkeit (Ubuntu), die das Versprechen einer Welt nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des südafrikanischen Apartheid-Regimes war, durch Ethnonationalismen. …